Mittwoch, 25. März 2020
Das Früchtchen - Kapitel 1/II
piaget, 01:53h
...
Erstes Kapitel - Zweite Hälfte (Strang 1 - Ich-Erzähler - ab. 14. August)
Das Früchtchen genoss es sichtlich, im Mittelpunkt zu stehen. Es strahlte bis über die beiden hochstehenden fürstlichen Wangenknochen. Um für die Provinz nicht overdressed zu erscheinen, hatte es sich für eine schlichte Hochsteck-Frisur und eine Jeansjacke über dem schwarzen Abendkleid entschieden. Das Früchtchen wurde für seinen mutigen Einsatz im Discounter geehrt. Der Bürgermeister von Groß-Amstadt hatte geladen. Die örtliche Presse drehte ein Video mit dem iPhone. Ein viereckiges Leuchtkissen kleidete das putzige Podest in weiches Licht. In dem Rathaus aus dem 17. Jahrhundert roch es nach Zwiebelkuchen und Amstädter Wein. Zwischen den Stützen des Holzfachwerks saßen andächtig die lebensfrohen Dicken und die hageren Perfekten. Die Zeremonie an sich fiel dann recht bescheiden aus. Wahrscheinlich zu Gunsten des opulenten Büfetts. Die Dicken wollten Wein, die Hageren aßen Zwiebelkuchen.
Das Früchtchen hatte sich kurz nach dem Wohl der Kinder erkundigt und stand jetzt zusammen mit mir und den beiden Mädchen etwas abseits vom großen Fressen.
Mit einem Teller und einem Weinglas in der Hand näherte sich der Bürgermeister. Er war ein kleiner Mann mit einer Halbglatze, der trotz seiner bescheidenen Gestalt eine gewisse Autorität ausstrahlte. Er lächelte. Für einen Augenblick meinte ich, etwas Schadenfreude in seinem Gesicht erkannt zu haben.
Er reichte dem Früchtchen das Glas. „Liebe Fürstin von Drüggeberg, mir ist ein riesiger Stein vom Herzen gefallen, als ich hörte, dass eine angesehene Berliner Unternehmerin wie Sie in unseren gräflichen Forst investiert. Zuletzt hatte unser Graf nämlich ein nicht mehr so ganz glückliches Händchen bewiesen, was den ökonomischen Aspekt seiner Ländereien anging.“
„Ist mir auch schon aufgefallen“, erwiderte das Früchtchen und zog die linke Augenbraue in die Höhe. „Hören Sie, mein lieber Bürgermeister, haben Sie noch einmal darüber nachgedacht, ob die Stadt nicht doch eine Bürgschaft für den von mir beantragten Kredit zum Erhalt des Jagd-Schlösschens in Erwägung ziehen könnte?“
„Nein! Der alte Graf, Mallorca hab’ in selig, hat der Stadt in der Vergangenheit schon zu viele Zugeständnisse abgerungen. Im Namen unserer Bürger und aus wirtschaftlicher Sicht kann ich Ihnen da nicht mehr weiter entgegenkommen.“
An einer roten Ampel auf der Rückfahrt.
„Dieser Schleimer von Bürgermeister wird mich noch kennenlernen!“, empörte sich das Früchtchen. Es hielt mir sein iPad übers Lenkrad. „Auf der städtischen Tourismus-Seite im Internet macht er Werbung mit der einzigartigen Natur und den unersetzlichen Kulturgütern von Groß-Amstadt. Die Startseite zeigt mein Jagd-Schlösschen. Und hier: Auf der nächsten Seite sieht man glückliche Familien, die durch meine Wälder radeln. Und noch schlimmer: Hier picknicken sie auf meinen Bänken. Und anschließend muss ich meine Waldarbeiter dafür bezahlen, dass die den Müll seiner schlampigen Familien wieder wegräumen. Trotzdem will er nicht für meinen Kredit bürgen, diese doppelzüngige Natter.“
„Schon klar“, meinte ich, „was mich mal interessieren würde, ist, wie der alte Graf sein Geld verdient hat. Von irgendwas muss der doch auch gelebt haben.“
„Ich habe mich mit seinen Büchern beschäftigt. Das einzige, mit dem er wenigstens noch ein bisschen Geld verdiente, war der Holzverkauf.“
„Dann verkaufen Sie doch einfach mehr Bäume. Dann könnten wir schon mal ein paar Ausbesserungsarbeiten am Dach des Schlösschens bezahlen.“
„Warum bin ich da nur nicht selbst draufgekommen? Bäume habe ich ja schließlich ohne Ende. Wahrscheinlich habe ich die deshalb nicht bemerkt, weil ich sogar ganze Wälder davon besitze.“
Ohne das Früchtchen ansehen zu müssen, merkte ich, wie es aus seinen grünen Augen glühende Zornesblitze auf mich abschoss.
Kleinlaut fragte ich: „Habe ich was Falsches gesagt?“
„Die Frage ist doch eher, wann Sie schon mal etwas Richtiges von sich gegeben haben.“
„Was war denn an meiner Aussage falsch?“
„Alles! Aber man kann es Ihnen eigentlich auch nicht verübeln, bei dem dämlichen pädagogischen Gedöns, das Sie studiert haben. Wie sollen Sie da wissen, auf was es in der Wirtschaft ankommt.“
„Gedöns? Das habe ich jetzt überhört. - Jedenfalls denke ich, dass es wirtschaftlich nicht schaden kann, wenn man etwas besitzt, das man verkaufen kann.“
„So, denken Sie das? Als ob es um die Bäume ginge. Es geht um die Kosten, die mir beim Fällen der Bäume entstehen.“
„Na, so viel kann es ja nicht kosten, ein paar Bäume zu fällen.“
„Vielleicht nicht wenn Sie in Brasilien leben. Dort suchen Sie sich einfach ein paar Tagelöhner, die Sie nicht versichern, sparen sich die Schutzkleidung und bezahlen statt der Lohnnebenkosten die zuständigen Beamten, damit die wegschauen. Neue Maschinen brauchen Sie dort auch nicht. Sie schütten in die alten oben einfach so viel Öl rein, dass es unten wieder rausläuft und die Dinger nicht verrecken. Umweltschutz und den ganzen Schnodder, da schniefen die dort nur mal lässig ins Unterholz.“
„Also so hoch können die Lohnkosten doch nicht sein.“
„Bitte? Für das, was mich ein gelernter Waldarbeiter kostet, könnte ich mir glatt drei von Ihrer Sorte leisten.“
„Bitte? Ich hatte doch schon immer das Gefühl, dass Sie mich nicht richtig bezahlen.“
„Tja, so ergeht es einem halt, wenn man Gedöns studiert, anstatt was Richtiges zu lernen.“
Im Jagd-Schlösschen.
Das Pflänzchen hatte es sich auf einem abgewetzten Ledersofa bequem gemacht. Es las eifrig in einem der alten gräflichen, noch handschriftlich verfassten Kassenbücher. Wind wehte an dem Augusttag durch die geöffneten Fenster der Wohnstube. Die Geweihe waren auf Anweisung der Hausherrin in den Keller verbannt worden. Um dem Denkmalschutz gerecht zu werden, hatte ich die Wände weiß gekalkt. Als Nächstes wollte ich die alten Bodenbohlen abschleifen. Momentan war aber kein Geld in meiner Haushaltskasse übrig, um die Ausleihe für ein Schleifgerät zahlen zu können.
Als ich den Tisch abdeckte, beobachtete ich, wie das Früchtchen langsam über seinen Unterlagen eindöste. In Zeitlupe knickte der Kopf zu Seite, der Mund öffnete sich und ein fürstliches Schnarchen ertönte.
Ich musste grinsen. Durchs Fenster bemerkte ich eine Gestalt, die sich dem Eingang näherte. Das Früchtchen aus seinem Nickerchen zu wecken, konnte eine äußerst schlechte Laune nach sich ziehen. Deshalb beschloss ich, unseren Besuch vor der Tür abzufangen.
„Ei, gude Mosche. Na, alles gud bei euch?“
„Im Moment ist es grade mal ruhig“, entgegnete ich unserem fülligen Förster.
„Na, des iss doch schö. Ich will auch net lang störe. Mir müsse wisse, wann mir die Setzlinge jetzt endlich pflanze könne. Bei der Hitz müsse die aus de Pött. Sonst vertrockne die.“
„Sie hatten mir doch damals erklärt, dass die Setzlinge keine zwei Wochen überleben würden, wenn sie abbrechen müssten. Das ist jetzt sechs Wochen her, und ich dachte, das Thema hätte sich erledigt.“
„Ei, nee. Mir habe die jeden Abend gegosse. Wär doch schad drum, net?
„Absolut. Aber äh …“
„Eigentlich will ich auch nur wisse, welchen Abstand mir zu dem Dode lasse solle.“
„Bitte? Zu dem Dode?“
„Na, zu dern Leich, die ihr dort verbuddelt habt. Meinet Sie das in meinem Wald was geschieht, von dem ich nix wisse tät?“
„Nein, meine ich nicht. Äh …“
„Mache Sie sich kein Kopp wege dem Moralische. Mir denket da eher praktisch bei uns.“
„Praktisch?“
„Pragmatisch.“
„Das Wort, das Sie meinten, hatte ich schon verstanden. Nur, was genau wollen Sie mir damit jetzt sagen?“
„Dass mir sicher eine pragmatische Lösung finde tun.“
„Tun mir finde?“
„Also mir ham beratschlagt. Mei Arbeiter und ich. Und es wär uns wichtig, dass mir einen garantierten Arbeitsplatz gewissermaßen auf Lebenszeit hier im gräflichen Wald hätte. Mit meinem Rücke bin ich ja auch net mehr de Jüngst.“
„Das klingt mir irgendwie nach Erpressung.“
„Findet Sie? Für mich klingt des eher praktisch gedacht.“
„Verstehe. Ich werde es meiner Chefin ausrichten.“
„Ei, gud so. Und was mache mir jetzt wege de Setzlinge?“
Ich stand in der Küche, Lilli und Lulu saßen auf der Eckbank und machten Hausaufgaben. Angestrengt überlegte ich, wie ich meiner Chefin erklären sollte, dass ihre Arbeiter jetzt gewissermaßen zur Familie gehörten.
Da schlurfte ein gähnendes Früchtchen in die Küche: „Ich war kurz eingeschlafen. Ist in der Zwischenzeit etwas passiert, von dem ich wissen sollte?“
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Erstes Kapitel - Zweite Hälfte (Strang 1 - Ich-Erzähler - ab. 14. August)
Das Früchtchen genoss es sichtlich, im Mittelpunkt zu stehen. Es strahlte bis über die beiden hochstehenden fürstlichen Wangenknochen. Um für die Provinz nicht overdressed zu erscheinen, hatte es sich für eine schlichte Hochsteck-Frisur und eine Jeansjacke über dem schwarzen Abendkleid entschieden. Das Früchtchen wurde für seinen mutigen Einsatz im Discounter geehrt. Der Bürgermeister von Groß-Amstadt hatte geladen. Die örtliche Presse drehte ein Video mit dem iPhone. Ein viereckiges Leuchtkissen kleidete das putzige Podest in weiches Licht. In dem Rathaus aus dem 17. Jahrhundert roch es nach Zwiebelkuchen und Amstädter Wein. Zwischen den Stützen des Holzfachwerks saßen andächtig die lebensfrohen Dicken und die hageren Perfekten. Die Zeremonie an sich fiel dann recht bescheiden aus. Wahrscheinlich zu Gunsten des opulenten Büfetts. Die Dicken wollten Wein, die Hageren aßen Zwiebelkuchen.
Das Früchtchen hatte sich kurz nach dem Wohl der Kinder erkundigt und stand jetzt zusammen mit mir und den beiden Mädchen etwas abseits vom großen Fressen.
Mit einem Teller und einem Weinglas in der Hand näherte sich der Bürgermeister. Er war ein kleiner Mann mit einer Halbglatze, der trotz seiner bescheidenen Gestalt eine gewisse Autorität ausstrahlte. Er lächelte. Für einen Augenblick meinte ich, etwas Schadenfreude in seinem Gesicht erkannt zu haben.
Er reichte dem Früchtchen das Glas. „Liebe Fürstin von Drüggeberg, mir ist ein riesiger Stein vom Herzen gefallen, als ich hörte, dass eine angesehene Berliner Unternehmerin wie Sie in unseren gräflichen Forst investiert. Zuletzt hatte unser Graf nämlich ein nicht mehr so ganz glückliches Händchen bewiesen, was den ökonomischen Aspekt seiner Ländereien anging.“
„Ist mir auch schon aufgefallen“, erwiderte das Früchtchen und zog die linke Augenbraue in die Höhe. „Hören Sie, mein lieber Bürgermeister, haben Sie noch einmal darüber nachgedacht, ob die Stadt nicht doch eine Bürgschaft für den von mir beantragten Kredit zum Erhalt des Jagd-Schlösschens in Erwägung ziehen könnte?“
„Nein! Der alte Graf, Mallorca hab’ in selig, hat der Stadt in der Vergangenheit schon zu viele Zugeständnisse abgerungen. Im Namen unserer Bürger und aus wirtschaftlicher Sicht kann ich Ihnen da nicht mehr weiter entgegenkommen.“
An einer roten Ampel auf der Rückfahrt.
„Dieser Schleimer von Bürgermeister wird mich noch kennenlernen!“, empörte sich das Früchtchen. Es hielt mir sein iPad übers Lenkrad. „Auf der städtischen Tourismus-Seite im Internet macht er Werbung mit der einzigartigen Natur und den unersetzlichen Kulturgütern von Groß-Amstadt. Die Startseite zeigt mein Jagd-Schlösschen. Und hier: Auf der nächsten Seite sieht man glückliche Familien, die durch meine Wälder radeln. Und noch schlimmer: Hier picknicken sie auf meinen Bänken. Und anschließend muss ich meine Waldarbeiter dafür bezahlen, dass die den Müll seiner schlampigen Familien wieder wegräumen. Trotzdem will er nicht für meinen Kredit bürgen, diese doppelzüngige Natter.“
„Schon klar“, meinte ich, „was mich mal interessieren würde, ist, wie der alte Graf sein Geld verdient hat. Von irgendwas muss der doch auch gelebt haben.“
„Ich habe mich mit seinen Büchern beschäftigt. Das einzige, mit dem er wenigstens noch ein bisschen Geld verdiente, war der Holzverkauf.“
„Dann verkaufen Sie doch einfach mehr Bäume. Dann könnten wir schon mal ein paar Ausbesserungsarbeiten am Dach des Schlösschens bezahlen.“
„Warum bin ich da nur nicht selbst draufgekommen? Bäume habe ich ja schließlich ohne Ende. Wahrscheinlich habe ich die deshalb nicht bemerkt, weil ich sogar ganze Wälder davon besitze.“
Ohne das Früchtchen ansehen zu müssen, merkte ich, wie es aus seinen grünen Augen glühende Zornesblitze auf mich abschoss.
Kleinlaut fragte ich: „Habe ich was Falsches gesagt?“
„Die Frage ist doch eher, wann Sie schon mal etwas Richtiges von sich gegeben haben.“
„Was war denn an meiner Aussage falsch?“
„Alles! Aber man kann es Ihnen eigentlich auch nicht verübeln, bei dem dämlichen pädagogischen Gedöns, das Sie studiert haben. Wie sollen Sie da wissen, auf was es in der Wirtschaft ankommt.“
„Gedöns? Das habe ich jetzt überhört. - Jedenfalls denke ich, dass es wirtschaftlich nicht schaden kann, wenn man etwas besitzt, das man verkaufen kann.“
„So, denken Sie das? Als ob es um die Bäume ginge. Es geht um die Kosten, die mir beim Fällen der Bäume entstehen.“
„Na, so viel kann es ja nicht kosten, ein paar Bäume zu fällen.“
„Vielleicht nicht wenn Sie in Brasilien leben. Dort suchen Sie sich einfach ein paar Tagelöhner, die Sie nicht versichern, sparen sich die Schutzkleidung und bezahlen statt der Lohnnebenkosten die zuständigen Beamten, damit die wegschauen. Neue Maschinen brauchen Sie dort auch nicht. Sie schütten in die alten oben einfach so viel Öl rein, dass es unten wieder rausläuft und die Dinger nicht verrecken. Umweltschutz und den ganzen Schnodder, da schniefen die dort nur mal lässig ins Unterholz.“
„Also so hoch können die Lohnkosten doch nicht sein.“
„Bitte? Für das, was mich ein gelernter Waldarbeiter kostet, könnte ich mir glatt drei von Ihrer Sorte leisten.“
„Bitte? Ich hatte doch schon immer das Gefühl, dass Sie mich nicht richtig bezahlen.“
„Tja, so ergeht es einem halt, wenn man Gedöns studiert, anstatt was Richtiges zu lernen.“
Im Jagd-Schlösschen.
Das Pflänzchen hatte es sich auf einem abgewetzten Ledersofa bequem gemacht. Es las eifrig in einem der alten gräflichen, noch handschriftlich verfassten Kassenbücher. Wind wehte an dem Augusttag durch die geöffneten Fenster der Wohnstube. Die Geweihe waren auf Anweisung der Hausherrin in den Keller verbannt worden. Um dem Denkmalschutz gerecht zu werden, hatte ich die Wände weiß gekalkt. Als Nächstes wollte ich die alten Bodenbohlen abschleifen. Momentan war aber kein Geld in meiner Haushaltskasse übrig, um die Ausleihe für ein Schleifgerät zahlen zu können.
Als ich den Tisch abdeckte, beobachtete ich, wie das Früchtchen langsam über seinen Unterlagen eindöste. In Zeitlupe knickte der Kopf zu Seite, der Mund öffnete sich und ein fürstliches Schnarchen ertönte.
Ich musste grinsen. Durchs Fenster bemerkte ich eine Gestalt, die sich dem Eingang näherte. Das Früchtchen aus seinem Nickerchen zu wecken, konnte eine äußerst schlechte Laune nach sich ziehen. Deshalb beschloss ich, unseren Besuch vor der Tür abzufangen.
„Ei, gude Mosche. Na, alles gud bei euch?“
„Im Moment ist es grade mal ruhig“, entgegnete ich unserem fülligen Förster.
„Na, des iss doch schö. Ich will auch net lang störe. Mir müsse wisse, wann mir die Setzlinge jetzt endlich pflanze könne. Bei der Hitz müsse die aus de Pött. Sonst vertrockne die.“
„Sie hatten mir doch damals erklärt, dass die Setzlinge keine zwei Wochen überleben würden, wenn sie abbrechen müssten. Das ist jetzt sechs Wochen her, und ich dachte, das Thema hätte sich erledigt.“
„Ei, nee. Mir habe die jeden Abend gegosse. Wär doch schad drum, net?
„Absolut. Aber äh …“
„Eigentlich will ich auch nur wisse, welchen Abstand mir zu dem Dode lasse solle.“
„Bitte? Zu dem Dode?“
„Na, zu dern Leich, die ihr dort verbuddelt habt. Meinet Sie das in meinem Wald was geschieht, von dem ich nix wisse tät?“
„Nein, meine ich nicht. Äh …“
„Mache Sie sich kein Kopp wege dem Moralische. Mir denket da eher praktisch bei uns.“
„Praktisch?“
„Pragmatisch.“
„Das Wort, das Sie meinten, hatte ich schon verstanden. Nur, was genau wollen Sie mir damit jetzt sagen?“
„Dass mir sicher eine pragmatische Lösung finde tun.“
„Tun mir finde?“
„Also mir ham beratschlagt. Mei Arbeiter und ich. Und es wär uns wichtig, dass mir einen garantierten Arbeitsplatz gewissermaßen auf Lebenszeit hier im gräflichen Wald hätte. Mit meinem Rücke bin ich ja auch net mehr de Jüngst.“
„Das klingt mir irgendwie nach Erpressung.“
„Findet Sie? Für mich klingt des eher praktisch gedacht.“
„Verstehe. Ich werde es meiner Chefin ausrichten.“
„Ei, gud so. Und was mache mir jetzt wege de Setzlinge?“
Ich stand in der Küche, Lilli und Lulu saßen auf der Eckbank und machten Hausaufgaben. Angestrengt überlegte ich, wie ich meiner Chefin erklären sollte, dass ihre Arbeiter jetzt gewissermaßen zur Familie gehörten.
Da schlurfte ein gähnendes Früchtchen in die Küche: „Ich war kurz eingeschlafen. Ist in der Zwischenzeit etwas passiert, von dem ich wissen sollte?“
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Freitag, 20. März 2020
Das Früchtchen - Kapitel 1/I
piaget, 02:18h
Fürstin Gracia von Drüggeberg und ihr loyales Kindermädchen im Kampf gegen die Realität (eine Donquichotterie)
Erstes Kapitel - Erste Hälfte (Strang 1 - Ich-Erzähler - ab. 14. August)
„Der Leichnam müffelt fast so schlimm wie Ihre Jogging-Klamotten.“
„Bitte? Das habe ich jetzt überhört.“
„Tiefer.“
„Ich versuche es doch.“
„Tiefer! Sie müssen sich mehr anstrengen.“
„Sie würden auch müffeln, wenn Sie zwei Tage nicht geduscht hätten.“
„Jetzt ist es gut. Sie sind tief genug. Kommen Sie aus dem Loch. Sie nehmen den Oberkörper und ich hebe die Füße.“
„Puh, der riecht wirklich nicht mehr frisch.“
„Für 24 Stunden im Kofferraum und einen Rekord-Sommer, riecht er besser als Sie.“
„Es reicht mir langsam! Gestern Morgen wollte ich gerade ins Badezimmer, als ich Ihren Schrei aus der Garage hörte. Von Ihnen habe ich mich zu diesem Wahnsinn überreden lassen. Und ich möchte betonen: Sie hatten gesagt, dass Sie die Leiche irgendwo in der Nähe vergraben wollten. Wenn ich gewusst hätte, dass wir von Berlin bis ins tiefste Hessen fahren müssten, bis Sie eine geeignete Stelle finden würden, dann hätte ich vorher noch geduscht.“
„Ich konnte doch nicht ahnen, dass es in Deutschland kein friedliches Plätzchen mehr gibt, an dem nicht alle paar Minuten jemand mit seinem Hund vorbeirennt.“
„Das war die letzte Schaufel. Ich lege noch ein paar Zweige darauf, damit die frische Erde nicht so auffällt.“
„Schnell, kommen Sie aus dem Unterholz. Ich höre ein Auto.“
Ein grüner Geländewagen stoppte und ein fülliger Mann in Jagd-Bekleidung stieg aus. „Gude Mosche, die Herrschafte. Darf man fragen, was Sie beide so früh hier im gräflichen Walde treibet?“
„Ich hole mein Kindermädchen vom Joggen ab“, erwiderte das Früchtchen und deutete auf mich.
„Ihr Kindermädchen holet Sie ab? Sie wolle mir doch net verzähle, dass der Mann da Ihr Kindermädche iss? Sind Sie dafür net schon ein bisselle zu alt?“
„Er ist doch nicht mein Kindermädchen. Er arbeitet für mich und betreut meine beiden kleinen Nichten“, erklärte das Früchtchen.
„Er iss also Ihr Kindermädchen, so wie ich dem Grafen sein Förster bin?“
„Genau.“
„Iss ja auch net mei Baustell. Trotzdem muss Ihr Kindermädchen beim Joggen auf de Wege bleibe. Es ist verboten querfeldein zu renne. Wege de Setzlinge!“
„Ich verstehe. Mein Kindermädchen wollte eigentlich auch nur noch mal schnell Chichi machen. Deshalb war er im Unterholz.“
„Chichi? — Pipi, meinet Sie, oder? Iss im Grunde auch net mei Baustell. Trotzdem, selbst wenn der arme Ma ma Chichi muss, darf er die Wege net verlasse. Wege de Setzlinge!“
„Aber ich sehe hier gar keine Setzlinge im Unterholz.“ Das Früchtchen blickte sich irritiert um.
„Könnet Sie auch net sehe. Die werde heute erscht gepflanzt. Gucket Sie mol: Do hinne komme scho mei Waldarbeiter. Die nehmet sich jetzt den Bereich vor, den Ihr Kindermädchen grad gedüngt hat.“
„Die Dusche hat gutgetan, auch wenn Ihr neues Domizil nur über kaltes Wasser verfügt“, sagte ich, während ich die Wohnstube des Jagd-Schlösschens betrat.
„Wäre Ihnen das Gefängnis lieber gewesen? Dort hätten Sie bestimmt Ihre warme Dusche bekommen.“ Das Früchtchen hängte misslaunig seine Designer-Handtasche an eines der zahlreichen Hirsch-Geweihe, die den Raum schmückten.
„Keine Ahnung. Vielleicht wäre es vernünftiger gewesen, sich der Polizei zu stellen“, meinte ich.
„Für Sie vielleicht. Mit Glück wären Sie sogar mit Bewährung davongekommen.“
„Na ja, trotzdem weiß ich nicht, was ich zu dem Ganzen sagen soll. Hätten wir den Leichnam in die Tiefkühl-Truhe gesteckt und erst einmal in Ruhe überlegt, dann wohnten wir jetzt noch in der schönen Villa in Berlin.“
„Ich bin gestern Morgen sicher nicht mit dem Wunsch aufgestanden, mein gesamtes Vermögen in den Kauf eines komplett überschuldeten gräflichen Anwesens zu stecken. Und das alles nur: Wege de Setzlinge!“
„Sie übertreiben doch hoffentlich, wenn Sie von Ihrem gesamten Vermögen sprechen, oder?“
„Nein, meine Berliner Bank wollte für die Kauf-Summe alles haben, was ich besitze: Meine Investment-Firma für optimierte Finanzprodukte, meine Immobilien, unsere Villa in Berlin, sogar meinen kleinen roten Porsche. Nur den Rolls Royce meines Großvaters konnte ich retten. Der macht sich bestimmt super auf meinen privaten Forstwegen.“
„Immerhin hat Ihr neues Jagd-Domizil eine tolle Lage — direkt über den Weinbergen von Groß-Amstadt.“
Die tolle Aussicht nützt mir nur nicht viel. Auf meinen Ländereien darf nichts gebaut werden, sie dürfen nicht aufgeteilt werden und sogar diese mittelalterliche Ruine steht unter Denkmal-Schutz. Man ist förmlich gezwungen, von dem zu leben, was Wald und Wiesen hergeben. Kein Wunder, dass dieser Graf von Hessen-Amstadt praktisch pleite war. Sie hätten mal sein beglücktes Lächeln sehen sollen, als er meinen Berliner Bank-Scheck entgegennahm. Jetzt kann er sich zum ersten Mal eine Kranken-Versicherung leisten.“
„Wege de Setzlinge?“
„Ja, wege de Setzlinge! Scheiß Nachhaltigkeit! Mein Großvater hatte unsere Wälder in Böhmen schon vor dem Zweiten Weltkrieg verkauft. Er hat in Kunstdünger und Unkrautvernichter investiert und es nie bereut.“
Einen Monat und ein paar Tage später.
Das Früchtchen war außer sich. „Wo gibt es denn so etwas? Sie verweigern mir einen Überziehungskredit? Ich bestehe darauf, dass Ihr Filial-Leiter sofort hier erscheint!“
Die Bank-Angestellte lächelte beschwichtigend. „Hören Sie, liebe Gräfin von Drüggeberg, selbst wenn mein Chef freitags nicht beim Golfen wäre, gäbe er Ihnen auch keine andere Antwort als ich: Aufgrund Ihrer momentanen Einkommensverhältnisse können wir Ihnen leider keinen Überziehungskredit mehr gewähren.“
Ich stand mit den beiden Kindern am Geldautomaten und wartete auf das Früchtchen.
Betont elegant schritt es vom Bankschalter zu uns herüber.
„Tante Gracia, können wir jetzt nicht zum Einkaufen fahren?“ fragte die Sechs-Jährige.
„Sei nicht töricht, kleine Lilli. Nur weil meine IC-Karte defekt ist, hindert uns das doch nicht am Einkaufen“, antwortete das Früchtchen und fügte in meine Richtung hinzu: „Probieren Sie doch mal Ihre Karte aus. Mich würde interessieren, ob Ihre auch nicht funktioniert.“
„Ihnen ist schon klar“, sagte ich, während ich meine Karte in den Automaten schob, „dass Sie meine Arbeitgeberin sind — und nicht umgekehrt. Irgendwie vergessen Sie das jedes Wochenende wieder aufs Neue.“
„Papperlapapp, von solchen Spitzfindigkeiten bekommen Sie nur noch mehr graue Barthaare. Außerdem handelt es sich ja bloß um eine Kleinigkeit.“ Die Finger des Früchtchens tauchten geschickt zwischen meinen Armen hindurch, drückten auf 500 Euro und bestätigten.
„Das nennen Sie eine Kleinigkeit? Das ist ja fast ein Drittel meines Netto-Verdienstes. Und wo wir gerade beim Thema sind: Sie schulden mir noch meinen Lohn für die letzten zwei Monate.“
„Erzählen Sie nicht immer solche Geschichten. Natürlich habe ich jeden Monat eine Überweisung für Sie in Auftrag gegeben. Es ist doch nicht meine Schuld, wenn diese Bank-Filiale mein Konto nicht ordentlich führen kann.“
Ich ersparte mir eine weitere Diskussion, nahm Lilli an die Hand und ging mit ihr zum Auto.
Das Früchtchen zog meine Geldscheine aus dem Automaten, zählte sie sorgfältig und balancierte eilig auf seinen Stöckelschuhen hinter uns her.
„Zum Bauern-Markt geht es in die andere Richtung“, erklärte mir das Früchtchen und deutete nach links.
„Ich weiß.“ Ich fuhr nach rechts zum Discounter.
„Gestern habe ich erst wieder gelesen, dass man unbedingt regionale Produkte kaufen soll.“
„Wenn Sie Ihre Probleme mit der Bank geklärt haben, dann können Sie mit ihrem Geld - von mir aus - die regionalen Felder wieder düngen. Jetzt nutzen wir meinen Lohn erst einmal dazu, um richtiges Essen zu kaufen. Schließlich ist es mein Job, darauf zu achten, dass die Kinder versorgt sind. Würde ich Sie mit 500 Euro auf den Bauern-Markt gehen lassen, dann müssten die Kinder nächste Woche von geriebenen hessischen Hartkäse, Bodenwälder Büffel-Mozzarella und Bergsträßer Trüffel-Öl leben.“
„Wollen Sie etwa behaupten, dass die Kinder bei mir nicht an erster Stelle stünden?“
„Nein, aber Sie haben nun mal keine Ahnung davon, wie normale Menschen leben.“
„Wie bitte? Soll das vielleicht heißen, dass ich nicht normal bin?“
Das Früchtchen weigerte sich, den Discounter zu betreten. Es war der Meinung, dass es für einen solchen Anlass nicht passend gekleidet sei. Stattdessen blieb es auf der Rückbank des Rolls Royce sitzen und blätterte eifrig in einer Mode-Zeitschrift.
Die Mädchen und ich betraten den Supermarkt. Lulu, die Neun-Jährige, durfte den Wagen schieben, während Lilli und ich die Einkaufsliste abarbeiteten.
Ein Schuss hallte durch die Gänge. „Alle auf den Boden legen! Gesicht nach unten!“
Ich riss die Mädchen an mich und duckte mich hinter der Kühl-Theke schützend über die beiden.
Lulu sah mich erschrocken an, Lilli begann zu weinen.
Ich flüsterte: „Ihr müsst jetzt ganz leise sein. Der böse Mann ist bestimmt gleich wieder weg.“
Die Mädchen hatten verstanden.
Ich spähte vorsichtig über den Rand unserer tiefgekühlten Deckung.
Der Räuber trug eine Ski-Maske und deutete mit der Pistole auf die Kassiererin. „Los, das Geld in die Plastik-Tüte packen!“
Es war so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Plötzlich öffnete sich die elektrische Schiebetür des Eingangs und das Früchtchen stöckelte in das Gebäude. Es nickte dem Räuber und der Kassiererin freundlich zu und setzte seinen Weg dann unbeirrt fort.
Der Räuber hielt einen Moment sprachlos inne.
Dann schoss er in die Luft. „Du hältst dich wohl für was Besseres, du gestöckelte Mieze?“
Mit einem gekonnten Ausfallschritt stoppte das Früchtchen seinen Walk durch die Dosenregale. Ein eleganter Schwung, eine kraftvolle Drehung des hohen Absatzes und zurück in Richtung des Räubers: „Würden Sie das bitte wiederholen!“
„Wie? Was?“ Der maskierte Mann fuchtelte unsicher mit der Pistole in der Luft, während das Früchtchen auf ihn zu marschierte.
Er warf seine halb mit Geld befüllte Tüte auf das Kassenband. „Meinst du, ich knall dich nicht ab, nur weil du hier eine auf Bitch machst?“
„Meinen Sie, ich knalle Ihnen keine rein, nur weil Sie hier einen auf Rapper machen?“
Eigentlich hätte ich schon daran gewöhnt sein müssen, dass meine fürstliche Chefin grundsätzlich das Gegenteil von dem tut, was ein normaler Mensch für angemessen halten würde, aber als die Situation in jenem Moment vor meinen Augen eskalierte, war ich kurzzeitig wie gelähmt. Deshalb entwischte die kleine Lilli aus meinem Arm, lief hinter der Kühl-Theke hervor und schrie den Räuber weinend an: „Lass Tante Gracia in Ruhe!“
Der maskierte Mann drehte sich zu uns.
Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie das Früchtchen nach einer Dose Tomatenmark griff und die mit Anlauf in Richtung des Räubers pfefferte.
Rums schlug das italienische Wurfgeschoss am Ohr des maskierten Mannes ein, der ging in die Knie, sackte mit dem Oberkörper seitlich auf den Boden und blieb regungslos liegen.
Eines musste ich mal wieder zugeben, in Sachen Koordination und Körperbeherrschung war meine Chefin eine Naturgewalt. Schade, dass einem so gesunden Körper nicht immer ein ebenso gesunder Geist innewohnte. Aber dafür war ja ich zuständig, auch wenn das oft bedeutete, die zahlreichen Scherbenhaufen des Früchtchens wieder aufzukehren.
…
Erstes Kapitel - Erste Hälfte (Strang 1 - Ich-Erzähler - ab. 14. August)
„Der Leichnam müffelt fast so schlimm wie Ihre Jogging-Klamotten.“
„Bitte? Das habe ich jetzt überhört.“
„Tiefer.“
„Ich versuche es doch.“
„Tiefer! Sie müssen sich mehr anstrengen.“
„Sie würden auch müffeln, wenn Sie zwei Tage nicht geduscht hätten.“
„Jetzt ist es gut. Sie sind tief genug. Kommen Sie aus dem Loch. Sie nehmen den Oberkörper und ich hebe die Füße.“
„Puh, der riecht wirklich nicht mehr frisch.“
„Für 24 Stunden im Kofferraum und einen Rekord-Sommer, riecht er besser als Sie.“
„Es reicht mir langsam! Gestern Morgen wollte ich gerade ins Badezimmer, als ich Ihren Schrei aus der Garage hörte. Von Ihnen habe ich mich zu diesem Wahnsinn überreden lassen. Und ich möchte betonen: Sie hatten gesagt, dass Sie die Leiche irgendwo in der Nähe vergraben wollten. Wenn ich gewusst hätte, dass wir von Berlin bis ins tiefste Hessen fahren müssten, bis Sie eine geeignete Stelle finden würden, dann hätte ich vorher noch geduscht.“
„Ich konnte doch nicht ahnen, dass es in Deutschland kein friedliches Plätzchen mehr gibt, an dem nicht alle paar Minuten jemand mit seinem Hund vorbeirennt.“
„Das war die letzte Schaufel. Ich lege noch ein paar Zweige darauf, damit die frische Erde nicht so auffällt.“
„Schnell, kommen Sie aus dem Unterholz. Ich höre ein Auto.“
Ein grüner Geländewagen stoppte und ein fülliger Mann in Jagd-Bekleidung stieg aus. „Gude Mosche, die Herrschafte. Darf man fragen, was Sie beide so früh hier im gräflichen Walde treibet?“
„Ich hole mein Kindermädchen vom Joggen ab“, erwiderte das Früchtchen und deutete auf mich.
„Ihr Kindermädchen holet Sie ab? Sie wolle mir doch net verzähle, dass der Mann da Ihr Kindermädche iss? Sind Sie dafür net schon ein bisselle zu alt?“
„Er ist doch nicht mein Kindermädchen. Er arbeitet für mich und betreut meine beiden kleinen Nichten“, erklärte das Früchtchen.
„Er iss also Ihr Kindermädchen, so wie ich dem Grafen sein Förster bin?“
„Genau.“
„Iss ja auch net mei Baustell. Trotzdem muss Ihr Kindermädchen beim Joggen auf de Wege bleibe. Es ist verboten querfeldein zu renne. Wege de Setzlinge!“
„Ich verstehe. Mein Kindermädchen wollte eigentlich auch nur noch mal schnell Chichi machen. Deshalb war er im Unterholz.“
„Chichi? — Pipi, meinet Sie, oder? Iss im Grunde auch net mei Baustell. Trotzdem, selbst wenn der arme Ma ma Chichi muss, darf er die Wege net verlasse. Wege de Setzlinge!“
„Aber ich sehe hier gar keine Setzlinge im Unterholz.“ Das Früchtchen blickte sich irritiert um.
„Könnet Sie auch net sehe. Die werde heute erscht gepflanzt. Gucket Sie mol: Do hinne komme scho mei Waldarbeiter. Die nehmet sich jetzt den Bereich vor, den Ihr Kindermädchen grad gedüngt hat.“
„Die Dusche hat gutgetan, auch wenn Ihr neues Domizil nur über kaltes Wasser verfügt“, sagte ich, während ich die Wohnstube des Jagd-Schlösschens betrat.
„Wäre Ihnen das Gefängnis lieber gewesen? Dort hätten Sie bestimmt Ihre warme Dusche bekommen.“ Das Früchtchen hängte misslaunig seine Designer-Handtasche an eines der zahlreichen Hirsch-Geweihe, die den Raum schmückten.
„Keine Ahnung. Vielleicht wäre es vernünftiger gewesen, sich der Polizei zu stellen“, meinte ich.
„Für Sie vielleicht. Mit Glück wären Sie sogar mit Bewährung davongekommen.“
„Na ja, trotzdem weiß ich nicht, was ich zu dem Ganzen sagen soll. Hätten wir den Leichnam in die Tiefkühl-Truhe gesteckt und erst einmal in Ruhe überlegt, dann wohnten wir jetzt noch in der schönen Villa in Berlin.“
„Ich bin gestern Morgen sicher nicht mit dem Wunsch aufgestanden, mein gesamtes Vermögen in den Kauf eines komplett überschuldeten gräflichen Anwesens zu stecken. Und das alles nur: Wege de Setzlinge!“
„Sie übertreiben doch hoffentlich, wenn Sie von Ihrem gesamten Vermögen sprechen, oder?“
„Nein, meine Berliner Bank wollte für die Kauf-Summe alles haben, was ich besitze: Meine Investment-Firma für optimierte Finanzprodukte, meine Immobilien, unsere Villa in Berlin, sogar meinen kleinen roten Porsche. Nur den Rolls Royce meines Großvaters konnte ich retten. Der macht sich bestimmt super auf meinen privaten Forstwegen.“
„Immerhin hat Ihr neues Jagd-Domizil eine tolle Lage — direkt über den Weinbergen von Groß-Amstadt.“
Die tolle Aussicht nützt mir nur nicht viel. Auf meinen Ländereien darf nichts gebaut werden, sie dürfen nicht aufgeteilt werden und sogar diese mittelalterliche Ruine steht unter Denkmal-Schutz. Man ist förmlich gezwungen, von dem zu leben, was Wald und Wiesen hergeben. Kein Wunder, dass dieser Graf von Hessen-Amstadt praktisch pleite war. Sie hätten mal sein beglücktes Lächeln sehen sollen, als er meinen Berliner Bank-Scheck entgegennahm. Jetzt kann er sich zum ersten Mal eine Kranken-Versicherung leisten.“
„Wege de Setzlinge?“
„Ja, wege de Setzlinge! Scheiß Nachhaltigkeit! Mein Großvater hatte unsere Wälder in Böhmen schon vor dem Zweiten Weltkrieg verkauft. Er hat in Kunstdünger und Unkrautvernichter investiert und es nie bereut.“
Einen Monat und ein paar Tage später.
Das Früchtchen war außer sich. „Wo gibt es denn so etwas? Sie verweigern mir einen Überziehungskredit? Ich bestehe darauf, dass Ihr Filial-Leiter sofort hier erscheint!“
Die Bank-Angestellte lächelte beschwichtigend. „Hören Sie, liebe Gräfin von Drüggeberg, selbst wenn mein Chef freitags nicht beim Golfen wäre, gäbe er Ihnen auch keine andere Antwort als ich: Aufgrund Ihrer momentanen Einkommensverhältnisse können wir Ihnen leider keinen Überziehungskredit mehr gewähren.“
Ich stand mit den beiden Kindern am Geldautomaten und wartete auf das Früchtchen.
Betont elegant schritt es vom Bankschalter zu uns herüber.
„Tante Gracia, können wir jetzt nicht zum Einkaufen fahren?“ fragte die Sechs-Jährige.
„Sei nicht töricht, kleine Lilli. Nur weil meine IC-Karte defekt ist, hindert uns das doch nicht am Einkaufen“, antwortete das Früchtchen und fügte in meine Richtung hinzu: „Probieren Sie doch mal Ihre Karte aus. Mich würde interessieren, ob Ihre auch nicht funktioniert.“
„Ihnen ist schon klar“, sagte ich, während ich meine Karte in den Automaten schob, „dass Sie meine Arbeitgeberin sind — und nicht umgekehrt. Irgendwie vergessen Sie das jedes Wochenende wieder aufs Neue.“
„Papperlapapp, von solchen Spitzfindigkeiten bekommen Sie nur noch mehr graue Barthaare. Außerdem handelt es sich ja bloß um eine Kleinigkeit.“ Die Finger des Früchtchens tauchten geschickt zwischen meinen Armen hindurch, drückten auf 500 Euro und bestätigten.
„Das nennen Sie eine Kleinigkeit? Das ist ja fast ein Drittel meines Netto-Verdienstes. Und wo wir gerade beim Thema sind: Sie schulden mir noch meinen Lohn für die letzten zwei Monate.“
„Erzählen Sie nicht immer solche Geschichten. Natürlich habe ich jeden Monat eine Überweisung für Sie in Auftrag gegeben. Es ist doch nicht meine Schuld, wenn diese Bank-Filiale mein Konto nicht ordentlich führen kann.“
Ich ersparte mir eine weitere Diskussion, nahm Lilli an die Hand und ging mit ihr zum Auto.
Das Früchtchen zog meine Geldscheine aus dem Automaten, zählte sie sorgfältig und balancierte eilig auf seinen Stöckelschuhen hinter uns her.
„Zum Bauern-Markt geht es in die andere Richtung“, erklärte mir das Früchtchen und deutete nach links.
„Ich weiß.“ Ich fuhr nach rechts zum Discounter.
„Gestern habe ich erst wieder gelesen, dass man unbedingt regionale Produkte kaufen soll.“
„Wenn Sie Ihre Probleme mit der Bank geklärt haben, dann können Sie mit ihrem Geld - von mir aus - die regionalen Felder wieder düngen. Jetzt nutzen wir meinen Lohn erst einmal dazu, um richtiges Essen zu kaufen. Schließlich ist es mein Job, darauf zu achten, dass die Kinder versorgt sind. Würde ich Sie mit 500 Euro auf den Bauern-Markt gehen lassen, dann müssten die Kinder nächste Woche von geriebenen hessischen Hartkäse, Bodenwälder Büffel-Mozzarella und Bergsträßer Trüffel-Öl leben.“
„Wollen Sie etwa behaupten, dass die Kinder bei mir nicht an erster Stelle stünden?“
„Nein, aber Sie haben nun mal keine Ahnung davon, wie normale Menschen leben.“
„Wie bitte? Soll das vielleicht heißen, dass ich nicht normal bin?“
Das Früchtchen weigerte sich, den Discounter zu betreten. Es war der Meinung, dass es für einen solchen Anlass nicht passend gekleidet sei. Stattdessen blieb es auf der Rückbank des Rolls Royce sitzen und blätterte eifrig in einer Mode-Zeitschrift.
Die Mädchen und ich betraten den Supermarkt. Lulu, die Neun-Jährige, durfte den Wagen schieben, während Lilli und ich die Einkaufsliste abarbeiteten.
Ein Schuss hallte durch die Gänge. „Alle auf den Boden legen! Gesicht nach unten!“
Ich riss die Mädchen an mich und duckte mich hinter der Kühl-Theke schützend über die beiden.
Lulu sah mich erschrocken an, Lilli begann zu weinen.
Ich flüsterte: „Ihr müsst jetzt ganz leise sein. Der böse Mann ist bestimmt gleich wieder weg.“
Die Mädchen hatten verstanden.
Ich spähte vorsichtig über den Rand unserer tiefgekühlten Deckung.
Der Räuber trug eine Ski-Maske und deutete mit der Pistole auf die Kassiererin. „Los, das Geld in die Plastik-Tüte packen!“
Es war so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Plötzlich öffnete sich die elektrische Schiebetür des Eingangs und das Früchtchen stöckelte in das Gebäude. Es nickte dem Räuber und der Kassiererin freundlich zu und setzte seinen Weg dann unbeirrt fort.
Der Räuber hielt einen Moment sprachlos inne.
Dann schoss er in die Luft. „Du hältst dich wohl für was Besseres, du gestöckelte Mieze?“
Mit einem gekonnten Ausfallschritt stoppte das Früchtchen seinen Walk durch die Dosenregale. Ein eleganter Schwung, eine kraftvolle Drehung des hohen Absatzes und zurück in Richtung des Räubers: „Würden Sie das bitte wiederholen!“
„Wie? Was?“ Der maskierte Mann fuchtelte unsicher mit der Pistole in der Luft, während das Früchtchen auf ihn zu marschierte.
Er warf seine halb mit Geld befüllte Tüte auf das Kassenband. „Meinst du, ich knall dich nicht ab, nur weil du hier eine auf Bitch machst?“
„Meinen Sie, ich knalle Ihnen keine rein, nur weil Sie hier einen auf Rapper machen?“
Eigentlich hätte ich schon daran gewöhnt sein müssen, dass meine fürstliche Chefin grundsätzlich das Gegenteil von dem tut, was ein normaler Mensch für angemessen halten würde, aber als die Situation in jenem Moment vor meinen Augen eskalierte, war ich kurzzeitig wie gelähmt. Deshalb entwischte die kleine Lilli aus meinem Arm, lief hinter der Kühl-Theke hervor und schrie den Räuber weinend an: „Lass Tante Gracia in Ruhe!“
Der maskierte Mann drehte sich zu uns.
Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie das Früchtchen nach einer Dose Tomatenmark griff und die mit Anlauf in Richtung des Räubers pfefferte.
Rums schlug das italienische Wurfgeschoss am Ohr des maskierten Mannes ein, der ging in die Knie, sackte mit dem Oberkörper seitlich auf den Boden und blieb regungslos liegen.
Eines musste ich mal wieder zugeben, in Sachen Koordination und Körperbeherrschung war meine Chefin eine Naturgewalt. Schade, dass einem so gesunden Körper nicht immer ein ebenso gesunder Geist innewohnte. Aber dafür war ja ich zuständig, auch wenn das oft bedeutete, die zahlreichen Scherbenhaufen des Früchtchens wieder aufzukehren.
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Donnerstag, 29. Oktober 2015
Das Frühstück ist fertig!
piaget, 08:51h
Es gibt Reis.
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